MORMONENHISTORIKER WENDEN SICH VON JOSEPH SMITHS GESCHICHTE AB. Einst wäre es für einen Mormonenschreiber fast Ketzerei gewesen, Joseph Smiths History of the Church offen zu kritisieren. Da sich die Beweise gegen die History weiter auftürmten, haben aber einige Spitzengelehrte damit begonnen, ihrer Unzufriedenheit Stimme zu verleihen. Wir haben Dean C. Jessee von der Kirchengeschichtlichen Abteilung zitiert, wie er einige erstaunliche Zugeständnisse hinsichtlich der History machte. In einem 1976 veröffentlichten Artikel musste Jessee zugeben, dass es „zahlreiche Änderungen, Unstimmigkeiten, Unregelmäßigkeiten der Redakteure und andere Abweichungen“ gegeben hat, „die in einem Zeitalter präzisen, literarischen Stils und historischer Methoden verdächtig erscheinen.“ (Journal of Mormon History, Bd. 3, 1976, Seite 23)
Auf Seite 37 desselben Artikels kommentierte Jessee:
„Das Format macht den Eindruck, dass die Geschichte von Joseph Smith persönlich geschrieben wurde. Eine Studie der Originaldokumente zeigt aber, dass vieles aus ihrem Inhalt nicht das tatsächliche Produkt des Propheten eigenen Geistes ist, auch wenn er der Architekt ihrer Form war. Und während es unbedeutend erscheinen mag, die Teile der Schriften Joseph Smiths, die tatsächlich von ihm selbst sind, von denen zu unterscheiden, die von seinen Sekretären gepflegt wurden, findet der Biograph, dessen Kontakt mit dem Sinn seines Themas unerlässlich ist, diese Unterscheidung von höchster Bedeutung. Man bemerkt einen bezeichnenden Unterschied im Stil zwischen jenen Einträgen in der Geschichte, die Joseph Smiths eigene Gedanken widerspiegeln, und jenen, die die Schöpfung seiner Schreiber sind…
Um die Frage der Autorenschaft noch komplizierter zu machen, da Joseph Smiths Tagebuch keine ununterbrochene Erzählung seines Lebens liefert, wurden Lücken überbrückt, indem andere Quellen benutzt wurden, wobei indirekte Rede in direkte umgewandelt wurde, als hätte Joseph die Schreibarbeit selbst getan… dadurch, dass die Worte und Gedanken anderer Leute auf Joseph Smith übertragen wurden, erzeugte diese Schreibmethode für diejenigen eine verzerrende Wirkung, die seine Persönlichkeit aus seinen persönlichen Schriften studieren wollten.
Marvin S. Hill, von der Brigham-Young-Universität der Kirche, hat nun zugegeben, dass „große Teile“ aus Joseph Smiths History nicht von ihm geschrieben wurden:
„Ein Grund, dass Brodie zum Schluss kam, dass Joseph Smith seine Persönlichkeit hinter einem ‚fortwährenden Fluss an Worten’ in seiner Geschichte verschleiert hätte, mag sein, dass sie tatsächlich annahm, dass er das meiste davon diktierte. Wir wissen jetzt, dass große Teile von dieser Geschichte nicht diktiert wurden, sondern von Schreibern geschrieben und später in die erste Person übertragen wurden, als wären es Josephs Worte. Diese Tatsache macht die wenigen Dinge, die Joseph Smith selbst schrieb, sehr bedeutsam.“ (Dialogue: A Journal of Mormon Thought, Winter 1972, Seite 76)
1979 brachte Leland Nelson eine Veröffentlichung mit dem Titel The Journal of Joseph: The Personal Diary of a Modern Prophet by Joseph Smith Jun. heraus. Während Mr. Nelson behauptete, dass er Auszüge aus Joseph Smiths Tagebuch veröffentlichte, wurde es Gelehrten bald offensichtlich, dass er nur Auszüge von der veröffentlichten History of the Church genommen hatte. Howard C. Searle, ein Mormonengelehrter aus dem Salt-Lake-Institut für Religion beschuldigte Nelson, ein „irreführendes“ Buch veröffentlicht zu haben:
„Leland Nelson hat eine interessante Erzählung von Erste-Person-Passagen aus der History of the Church in einem Versuch zusammengestellt, die vertraute ‚Joseph-Smith-Geschichte’ in einen ganzen Band auszuweiten. Während er dies tat, hat er eine große Menge Material, das überhaupt nicht von Joseph Smith verfasst wurde, einbezogen. Trotz dieser Tatsache behauptete er, auf dem Schutzumschlag und in der Einleitung, dass ‚dieses Buch tatsächlich das ist, was der Titel aussagt – das persönliche Journal oder Tagebuch des Joseph Smith Junior’. …das Tagebuch Joseph Smiths ist nicht direkt den Tagebüchern Joseph Smiths entnommen, sondern von Material, das von Schreibern und den Kirchengeschichtsschreibern für die Kirchenannalen geschrieben wurde… was sich in dem Buch befindet, wurde in Zeitungsankündigungen, kommerziellen Radiosendungen und in der Einleitung zum Buch stark verdreht…
Jeder, der mit der Methodik vertraut ist, die bei der Zusammenstellung der History of the Church benutzt wurde, wird erkennen, dass eines der Hauptprobleme die verwirrende und irreführende Urheberschaft ist. Um zuverlässig aus diesen Quellen zitieren zu können, sollte man erst zwei Fragen beantworten: (1.) Wer schrieb die Originalquelle und (2.) wie wurde sie für die Veröffentlichung editiert? Wäre Mr. Nelson diesen Fragen nachgegangen, hätte er sofort entdeckt, dass viele der Passagen in der ersten Person, die er in Josephs persönlichen Schriften zitiert hat, weder die persönlichen Schriften des Propheten sind noch seine Diktierungen… Viele Tagebucheinträge von den Schreibern waren nur kurze, unvollständige Notizen – einige in der dritten Person – die von den späteren Zusammenstellern der Kirchenannalen entziffert und ausgefüllt werden mussten. Vieles von dieser Editierarbeit wurde getan, nachdem die ursprünglichen Schreiber und der Prophet tot waren. Solches Material würde sich kaum als wortgetreue Diktierung qualifizieren… In Seiten in der originalen, handschriftlichen Geschichte ausgedrückt, sind nur fünfunddreißig Prozent bis zum Zeitpunkt des Todes des Propheten geschrieben worden und nichts davon war in seiner eigenen Handschrift…
Obwohl Willard Richards mit dem Geschichtsbericht nach dem Tod des Propheten weitergemacht hatte, fuhr er mit der Erzählung in der ersten Person fort, die die frühe Diktierung des Propheten charakterisierte… Als ‚Privatsekretär und Historiker’ berufen hatte Elder Richards offensichtlich das Gefühl, dass er die notwendige Amtsvollmacht hätte, die ihm erlaubte, für den Propheten zu schreiben, als wäre er der Prophet Joseph Smith. Die gesamte Zusammenstellung der Geschichte hindurch klebten Elder Richards, wie die späteren Schreiber, ergeben an dem Stil der ersten Person fest, wie vom Propheten begonnen. Die Notizen Elder Richards’ und anderer Schreiber in den Tagebüchern des Propheten wurden im Einklang mit diesem Format eingetragen, aber dies war nicht das einzige Material, das für eine Verschmelzung in der Erste-Person-Erzählung der Geschichte abgewandelt wurde… Vergleiche dieser Quellen mit der History of the Church offenbaren, dass viele Passagen aus ihnen in Erste-Person-Berichte Joseph Smiths umgewandelt wurden, und obwohl solche Passagen als direkte Rede oder Schrift erscheinen, sind sie in Wirklichkeit die Komposition anderer… Brigham setzte diese Praxis, den Sekretären zu erlauben, in der ersten Person für Joseph zu schreiben, fort, bis es 1857 fertig war…
Nach dem Tod der ursprünglichen Zusammensteller der Geschichte gab es in der Kirche eine Tendenz, die Methodik der frühen Schreiber und Kirchenhistoriker, die sie schrieben, zu vergessen oder zu ignorieren und alles Material in der Geschichte in der ersten Person Joseph Smith selbst zuzuschreiben… Ob durch Unwissenheit oder geplant, Elder Pratts Nachfolger im Geschichtsschreiberbüro sagten offensichtlich nichts über die Methodik, die der Zusammenstellung der frühen Geschichte der Kirche angewendet wurde, und zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde häufig angenommen, dass die gesamte Geschichte vom Propheten geschrieben oder diktiert worden war.
Um die Jahrhundertwende wurde das Projekt, die gesamte Geschichte in zugänglicher Buchform zu veröffentlichen, von George Q. Cannon, einem Mitglied der Ersten Präsidentschaft in Angriff genommen. In einem unveröffentlichten Vorwort behauptete er, dass die Geschichte ‚vom Propheten selbst oder unter seiner Weisung während seiner Lebenszeit geschrieben wurde’. …In weniger als fünfzig Jahren von der Zeit an, als die Geschichte fertig gestellt wurde, waren die Methoden, die bei der Zusammenstellung verwendet wurden, entweder unbekannt oder wurden ignoriert, bis dahin, dass allgemein angenommen wurde, dass die Geschichte vom Propheten persönlich geschrieben oder diktiert wurde. Trotz kürzlicher Artikel zum Thema, hat nichts diesen Glauben signifikant geändert, so weit es die allgemeine Kirchenmitgliederschaft betrifft.“ (Brigham Young University Studies, Winter 1981, S. 101, 102, 105, 109, 111, 114, 116, 117, 119,120)
Obwohl es wahr ist, dass die Publikation Journal of Joseph ein „irreführendes“ Buch ist, das „stark verdreht“ worden ist, meinen wir, dass die Hauptverantwortlichkeit für das Erscheinen solch eines Buches auf den Schultern der Generalautoritäten der Kirche ruht. Schon 1965 zeigten wir auf, dass es ernsthafte Änderungen in der History of the Church gegeben hat und dass es Grund gab zu glauben, dass ein großer Teil davon nicht wirklich von Joseph Smith geschrieben wurde. 1971 bestätigte Dean C. Jessee, der Gelehrte der Kirche, der in der Historischen Abteilung der Kirche arbeitete, dass über sechzig Prozent der History nicht während der Lebenszeit Smiths zusammengestellt wurde! Seit jener Zeit haben die Kirchenführer nichts getan, um den Mythos in Bezug auf Joseph Smiths Urheberschaft zu zerstreuen. Sie haben tatsächlich damit weitergemacht, die falsche Vorstellung, dass er der Autor war, zu verewigen. Der 1978er-Druck der History of the Church hat auf der Titelseite immer noch folgende Erklärung: „History of Joseph Smith, the Prophet BY HIMSELF [Geschichte Joseph Smiths, vom Propheten selbst].“ Wenn das Journal of Joseph „irreführend“ und „stark verdreht“ ist, was können wir dann über die History of the Church sagen, die die Mormonenführer weiterhin angesichts aller Beweise veröffentlichen? Howard C. Searle scheint bereit zuzugeben, dass die Wurzel des Problems bei der Kirche liegt und er schlägt sogar vor, dass die Kirche eine ehrliche Version der History of the Church veröffentlicht:
„Die History of the Church in ihrer gegenwärtigen Form wurde von B. H. Roberts editiert… obwohl Elder Roberts durch sein Editieren bedeutende Beiträge zur History geleistet hat, schuf er auch viele Probleme. Seine ernsteste Unzulänglichkeit war, dass er sich weder mit der Frage der Urheberschaft der Geschichte noch mit der Methodik, die mit ihrer ursprünglichen Zusammenstellung einherging, auseinandersetzte. Er verewigte nicht nur den Mythos, dass die gesamte Erzählung des Propheten eigene Schriften oder Worte waren, sondern er nahm ebenfalls direkt im Text Hinzufügungen und Löschungen ohne jede Anmerkung vor, als ob auch diese das Produkt des Geistes des Propheten wären. Indem er dies Tat, verdarb er den Text, während er versuchte ihn zu korrigieren, und er erweiterte eigentlich die Kluft zwischen dem wirklichen Joseph Smith und was als seine persönliche Schreiberei veröffentlicht wurde. Wenn Joseph Smiths Verkündung, dass ‚niemand meine Geschichte kennt’, in seiner eigenen Lebenszeit wahr wäre, so war sie nach Roberts’ Revisionen sogar noch wahrer, denn die tatsächliche Persönlichkeit, der Charakter und der Stil des Propheten wurden weiter durch einen oft irreführenden Schleier der Editoren verdunkelt… Elder Roberts’ Überarbeitungswerk ist bestenfalls unvollständig und schlimmstenfalls irreführend… Der große Wert dieses dauerhaften Werkes sollte eine Sorgfalt und eine geradeheraus Neueditierung rechtfertigen, die die Autoren der Geschichte und die Quellen identifizieren und die Veröffentlichung und Beliebtheit solch irreführender Bücher verhindern würde wie das Journal of Joseph… Man könnte argumentieren, dass die History ungeachtet ihrer Urheberschaft verlässlich sei, aber dies rechtfertigt in keiner Weise das Darstellen von Zitaten aus ihrem Inhalt als die persönlichen Abfassungen des Propheten, wenn sie eigentlich das Werk anderer Männer sind.“ (Ebenda, Seite 120-122)
Es ist sicherlich erfrischend, einen wissenschaftlichen und ehrlichen Artikel wie Mr. Searles in einem Journal von der kircheneigenen Brigham Young Universität veröffentlicht zu finden. Auf jeden Fall treten die Spitzengelehrten der Kirche, obwohl die Generalautoritäten der Kirche damit fortfahren, die gefälschte Ausgabe von Joseph Smiths History zu drucken, gegen sie hervor. Sogar der anonyme Mormonenhistoriker (Dr. Clandestine) hat zugeben müssen, dass unsere Anschuldigungen wahr sind:
„Sie kritisieren die Tatsache, dass Löschungen und Zufügungen in die Originaltexte ohne Eingeständnisse in die gedruckte History eingebracht wurden, dass Joseph Smiths autobiographische ‚History’ zum großen Teil nach seinem Tod von Sekretären und ‚Historikern’ geschrieben wurde, die Dritte-Person-Berichte von anderen als Joseph Smith in eine Erste-Person-Autobiographie Joseph Smiths umwandelten, und dass es zwischen der ersten serienmäßigen Veröffentlichung der History (1840er-1860er) und der siebenbändigen Ausgabe der History of the Church im zwanzigsten Jahrhundert Tausende von Löschungen und Hinzufügungen gegeben hat, die nicht im Text oder als Fußnoten angemerkt wurden. Dies ist sicher alles wahr und als Historiker bedaure ich die Verwirrung, die solch eine editorielle Praktik verursacht hat.“ (Jerald and Sandra Tanner’s Distorted View of Mormonism: A Response to Mormonism – Shadow or Reality? S. 42)
Dr. Clandestine wollte versuchen, all dies zu entschuldigen, indem er sagte, dass „erst vor kurzem die offizielle HLT-Geschichte von Männern (oft eingeschränkt gebildet) geschrieben wurde, die in Methoden des Editierens und in der Geschichte nicht ausgebildet waren.“ Nun, während die frühen Mormonen nicht in „Methoden des Editierens und in der Geschichte“ ausgebildet gewesen sein mögen, wussten sie sicherlich genug, um ihre Feinde zu kritisieren, als sie Regeln brachen. Wir meinen deshalb, dass Dr. Clandestines Erklärung für die Fälschung eine sehr dürftige Entschuldigung ist. Selbst wenn jemand diese Entschuldigung in Bezug auf die frühen Mormonenführer akzeptieren könnte, würde es nicht erklären, warum die heutigen Führer der Kirche weiterhin das Werk als „History of Joseph Smith, the Prophet BY HIMSELF“ drucken.
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